Möbelbranche in Aufruhr

Der Möbelbranche geht es gut. Die Konsumenten sind dank guter Konjunktur nach wie vor in Kauflaune und investieren immer mehr Geld in die eigenen vier Wände. Die Umsätze stiegen in den letzten Jahren zwar nur langsam, aber stetig. Doch das Bild von der heilen Welt trügt. Hinter den Kulissen brodelt es. Von Ruhe und Gelassenheit kann keine Rede sein. Die Branche spürt, dass es zu Veränderungen kommen wird und dass vieles, das sich bewährt hat, in Zukunft nicht mehr funktioniert. Die ersten Anzeichen, dass die Digitalisierung bald die Möbelbranche stark verändert, sind sichtbar. Die Möbelhäuser auf der grünen Wiese leiden unter geringer Kundenfrequenz. Selbst bei Ikea findet man samstags gut einen Parkplatz. Gleichzeitig nehmen die Online-Umsätze deutlich zu und immer mehr online Möbelhändler kommen auf den Markt. Das Münchner Möbel Start-Up Unternehmen Westwing, gerade mal 7 Jahre alt, vermeldet im ersten Halbjahr ein Wachstum von 22 Prozent und ist vor wenigen Tagen erfolgreich an der Börse gestartet.

Für Experten ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Digitalisierungswelle auf die Möbelbranche überschwappt. Es geht nicht nur um die Frage, wie groß der Online-Anteil am Möbelumsatz künftig ist. Sondern die sogenannte digitale Transformation stellt nahezu alle Unternehmensbereiche vor neuen Herausforderungen. Die Digitalisierung hat Einfluss auf das Produktmanagement, den Einkauf, das Marketing, den Vertrieb, die Logistik oder auch auf den Bereich Personal. In allen Bereichen kommt es zu gravierenden Veränderungen. Die Einkaufsverbände, die in den letzten Jahrzehnten das Rückgrat für nahezu alle Unternehmen bildeten, müssen ihren Partnern neue Leistungen anbieten, damit diese ihnen auch künftig Treue halten.

Hersteller und Händler müssen sich anpassen

Die Herausforderung „Digitalisierung“ betrifft Hersteller und Händler gleichermaßen. Für die Hersteller stellt sich die Frage, ob bzw. in welchem Umfang Handelsunternehmen überhaupt noch gebraucht werden, wenn Produkte über E-Commerce direkt an den Kunden verkauft werden können. Miele hat es als erster gewagt, direkt an den Endkunden seine Einbaugeräte zu verkaufen. Auch andere Hersteller werden nicht umhinkommen, ihre Ware auch über eigene Shops zu vertreiben. In anderen Branchen ist das schon längst Realität. Adidas verkauft schon seit eigenen Jahren seine Ware über eigene Shops an den Kunden und tritt in den Wettbewerb mit ihren Händlern.

Hersteller müssen künftig dafür sorgen, dass die Ware besser auf den Online-Handel zugeschnitten ist. Die Möbel müssen gut transportierbar und auch ohne gelernte Schreiner zu montieren sein. Ein Sofa, dass 3 Meter lang ist und über 100 Kilo wiegt, ist digital unverkäuflich. Eine der wichtigsten Aufgaben ist es, dafür zu sorgen, dass die gewünschte Ware schnell verfügbar ist. Lieferzeiten von 8 bis 10 Wochen werden immer weniger von Kunden akzeptiert. Künftig müssen die Hersteller dafür Sorge tragen, dass die Ware vorrätig ist oder in wenigen Stunden produziert werden kann. Adidas plant deshalb Schuhe mit 3D-Druckern für den Kunden maßgefertig herzustellen mit dem positiven Nebeneffekt, auf große Lagerkapazitäten und Überproduktionen zu verzichten.

Marken haben in Möbelbranche generell eine untergeordnete Bedeutung und dies wird sich in Zukunft auch nicht ändern. Gute Perspektiven erwarten Experten nur für Premiummarken, die aufgrund ihrer Markenstrahlkraft Kunden anziehen. Handelsmarken, die keinen echten Mehrwert bieten, werden es dagegen schwer haben, denn die Auswahl des richtigen Produktes macht künftig immer häufiger Alexa oder ein Chatbot. Der Computer empfiehlt ein Produkt nach rationalen Kriterien, wie Produktmerkmale und Preis. Ebenso entsteht Druck auf Anbieter vom Handelsmarken, die versuchen, bestehende Produkte unter andere Namen höherpreisig zu verkaufen. Visuelle Suchmaschinen, wie Alike oder Möbel.de., entlarven die Produkte sofort und zeigen Alternativprodukte auf.

Kurze Lieferzeiten sind entscheidend für den Kauf

Die Konsumentenforschung zeigt, dass kurze Lieferzeiten für die Kaufentscheidung immer wichtiger werden. Die Kunden sind es gewohnt, alles schnell zu bekommen. Das geht aber nur mit Lagerware und einem dichten Netz an Logistikzentren. Die großen Handelsunternehmen können diese betreiben und für Umsätze, die stationär oder im Internet getätigt werden, nutzen. Kleine Internetshop-Betreiber haben diese Möglichkeit in der Regel nicht. Sie konkurrieren nicht nur mit den großen inländischen Möbelgiganten wie XXXLutz, Ikea oder Otto, sondern auch mit großen Plattformen und Anbieter wie Amazon, Google oder Ebay, die in der Lage am nächsten Tag zu liefern.

Das mittelständische Handelsunternehmen hat deshalb kaum eine Chance, allein erfolgreich einen Online-Shop zu betreiben. Bisher bietet kein Einkaufsverband dazu schlüssige Konzepte an. Die meisten Kooperationen haben das Thema Digitalisierung verschlafen bzw. hinken der Digitalisierung hinterher. Sie bieten ihren Partnern nur wenig Hilfestellung beim Betrieb eines eigenen Shops, der Versorgung mit digitalen Produktdaten oder der Logistik. Auch die Art und Weise, wie von den Einkaufsverbänden Preise bei Jahresgesprächen verhandelt werden, passt nicht mehr in eine Welt, in der sich Preise dynamisch ändern und sich so den Marktgegebenheiten anpassen.

Kooperationen mit Mitbewerbern und anderen Verbänden sind unentbehrlich

Wenn Einkaufsverbände künftig ihre Mitglieder halten wollen, müssen sie ihren Partnern in den einzelnen Bereichen Mehrwert bieten. Die einzelnen Handelsunternehmen müssen aber auch bereit sein, mit den Mitbewerbern zusammenzuarbeiten, auch über Verbandsgrenzen hinaus. Der Blick über den Tellerrand zeigt, dass es erfolgreiche Ansätze dafür gibt. Der deutsche Buchhandel hat das starke Wachstum von Amazon gebremst, indem Online-Shops aufgebaut wurden, die alle Buchläden nutzen können. Auch im Automobilsektor kommt es zu unternehmensübergreifender Zusammenarbeit. Mercedes und BMW haben entschieden, ihre carsharing-Angebote „car2go“ und „drive now“ zusammenzulegen, um schneller wachsen zu können. Warum sollten in der Möbelbranche Lager- und Logistikkonzepte oder Vermarktungskonzepte nicht von verschiedenen Unternehmen einer Region genutzt werden? Die Einkaufsverbände sind deshalb gefordert, weitere Synergien zu nutzen.

Das Fazit ist eindeutig: Der Umsatz im reinen stationären Möbelhandel wird weiter abnehmen. Der stationäre Handel wird nur noch in Nischen und bei komplexen Produkten, wie der Einbauküche, Chancen haben. Die Kundenfrequenz in den Möbelhäusern wird weiter verringern, mit dem Ergebnis, dass immer weniger Verkaufsfläche benötigt wird. Alle Möbelhandelsunternehmen werden gezwungen sein, in Online-Shops zu investieren. Darüber hinaus sind zusätzliche Synergien im Einkauf, im Marketing und der Logistik zu nutzen, um im digitalen Zeitalter existieren zu können.

 

2018-10-11T10:12:18+00:00 10.2018|